Da war Liebe - für
ein Familie und für das Vaterland...

Wie freute ich mich an meinem
glänzenden Stahlrössli,
welches ich mir im Kriegswinter 1941 selber verdiente. In der "Wulli" in Turbenthal lernte ich den Weberknopf
und knüpfte dann drei Monate in der Spulerei, bis ich
190 Franken beisammen hatte. Dann aber keinen Tag
mehr länger.
 Nun hatte ich, was mein
Bräutigam auch hatte: Ein
neues, glänzendes Halb-Rennerlein. Gemeinsame
Touren konnten wir aber in den Kamin schreiben; seit
der zweiten Mobilmachung, seit Wochen, logierte Armin
mit vielen Feldgrauen auf dem Pragelpass in Zelten.
Eine fidele Freundin erlitt das gleiche Schicksal. Ihr Angebeteter war
aber mit einem "Boboli" in der MSA in
Flüelen. Flausen unterdrückte der Vater, als der Frühling einzog
und nach der Fabrikzeit atmete ich aber auf Vaters
Wiesen. Ich glaube, ich wäre wieder krank geworden
bei der stumpfsinnigen Spulerei. Der Bruder, zukünftig
als Bauer vorgesehen, war halt auch abkommandiert.
Einigermassen wieder bei Kräften und ein Hundebiss
hinter mir, war niemand zimperlich mit mir. Es galt,
vermehrt Kartoffeln zu stecken. Auch dem hintersten Tösstaler Bäuerlein wurden die Leistungen für die
damalige „Anbauschlacht“ vorgeschrieben. Als dann
aber der Heuet vorbei war, liessen wir zwei Freundinnen
uns nicht mehr halten. Die Meisterin der Freundin
musste ihren Laden ein paar Tage alleine schmeissen,
und „e chli mürrisch“ gab auch mein Vater die
Erlaubnis. "Er wärded wüsse, was er z'tue händ!".
Wir beschlossen also, unsere Soldaten zu besuchen. Ich
fühlte mich gesund wie eine Maus im Haferstroh. Juhui,
ab die Post! Wir packten unsere Rucksäcklein mit dem
Nötigsten und wenig Geld. Pelerinen für allfälligen
Regen - für alles war Platz auf den Packträgern der
neuen Velo. An einem Morgen, blau und heiter, und die
Meitli in flatterhaften Sommerkleidchen, trampten den
Freihof hinauf- Pfäffikon - Rapperswil- Pfäffikon,
schon im Kanton Schwyz. Auf dem Seedamm
überholten uns immer wieder Militärcamions.
Nun
stellten wir uns ein auf einen ordentlichen Fussmarsch.
Velo stossen bis Schindellegi; aber schon ausgangs des
Dorfes hielten zwei Gemüsehändler mit ihrem
Lastvvägeli und stiegen aus. Spontan machten sie uns
das Angebot, unsere Velos aufzuladen, fragten uns nach
unserem Reiseplan. Neben Gemüseharassen gab"s noch
Platz für Velos und die beiden flatterhaften Rucksäckli-
Touristinnen. Statt schwitzen genossen wir den blauen
Zürichsee, die reifenden Chriesi an den vielen Bäumen
und wir machten unsere Spässe. Weg von der Kelle zu
Hause fühlten wir uns herrlich frei. Gestärkt kamen wir
nach Biberbrugg und es galt, Abschied zu nehmen. Dort
zweigten die beiden Gemüsehändler ab nach Einsiedeln.
Wir strampelten über die Altmatt, und schon hatten wir
die herrlichen Berge der Innerschweiz mit glänzendem
Schnee im Visier. Aus unserem engen Tösstal staunten
wir ob all der Pracht. Im Dorf Steinen wimmelte es von
Soldaten. Wieder eine Strecke vor uns war ein Camion
voll Soldaten. Sie fotografierten uns unter dem Dach
hervor, stiegen aus und machten weitere Bilder von uns.
Einer war sogar noch aus Kollbrunn im Tösstal. Sie
versprachen, uns die Fotos zuzuschicken, und das taten
sie auch nach einigen Tagen. Alles war so lustig.
Heute
noch, 70 Jahre später, geniesse ich diese Erinnerungen
im vergilbten Fotoalbum.
Wie schön hätte unsere
Jugendzeit doch sein können, doch Kriegszeit, viel Angst,
Krankheiten und Unerfreuliches verhinderten
nicht nur uns die viel gepriesene schöne Jugendzeit. Wir
sahen nun den Vierwaldstättersee und Brunnen und
fuhren schon bald ein ins Städtchen Schwyz. Da
staunten wir über einiges, aber die Sonne stand schon
hoch und wir hatten als Ziel, den Pragelpass unbedingt
noch vor Abend zu erreichen. Wir fanden die Strasse ins
Muotathal. Vor der dortigen Steigung stellten wir
unsere Velos ein. Nun waren wir mitten unter Soldaten,
die auf einem Platz Telefondrähte aufspulten. Das war
ein lustigeres Spulen als im vergangenen Winter in der
Fabrik, und kurze Zeit betätigten wir uns auch damit.
Schon bald gesellte sich eine Gruppe grüner Männer zu
uns. Sie führten einen Auftrag aus im Tal und wurden im Gutenthalbaden Wieder zurückerwartet, nur wenig
unter dem Pragelpass. Das wurde ein fröhlicher
Marsch, sahen die jungen Männer doch wochenlang
keine Röcklein mehr. Sie trugen unsere Rucksäcklein
und teilten ihren Zvieri mit uns. Oben angekommen,
meldeten sie uns bei einem bärtigen Senn in einer
grossen Alphütte.
Hier war Platz im Heu zum schlafen.
Gross war die Freude, als wir auf der Passhöhe die 71er
entdeckten. Spässe, gegenseitige Überraschung. Sie
löffelten eben den Znacht aus ihren Gamellen und luden
uns kurzerhand ein, doch bei ihnen im Zelt zu schlafen.
Nach Überlegungen fanden wir uns nun doch etwas zu
frech. Wir spazierten noch durch den Abend bis zur
vereinbarten Schlafstelle. Der Senn empfing uns
Mädchen freundlich. Wie War ich stolz auf meinen
neuen Ehering an meiner Hand! Die Müdigkeit machte
sich langsam bemerkbar, und für Armin war es auch
Zeit, sein Kantonnement bei Mutter Grün aufzusuchen.
Vom Senn bekamen wir zwei Wolldecken und stiegen
über die Leiter auf den Heuboden. Verwöhnt waren wir
ja nicht. Am Brunnen mit dem kalten Bergwasser
hielten wir Katzenwäsche und waren eben im Begriff,
unser Lager zu bereiten. Es dämmerte bereits, als dann
plötzlich der Jungverlobte Armin auf der Leiter stand
und uns zwei schläfrigen Militärgäste herunter pfiff. Ein
wenig verdattert kam sein Befehl: „Ich ha müesse zum Hauptme, und dä hät wele Wüsse, was das für Zwo
sind.“ „Eini isch mini Bruut“ antwortete er wahrheitsgetreu. "Bruut hin oder her, die selled mache,
dass sie furt chömed, die händ nüüt z'tue da obe.
Marsch"
Das war der Clou der ereignisreichen Tour zu unseren
Soldaten. Ein paar Herumstehende brummten muff: "Wohi sölled jetzt die zwei Müüsli,
wo's bald nachtet?"
Als der Senn davon hörte, platzte der fast vor Zorn und rief nicht
eben leise: "Där bleich Cheib muess mir ja nüt
ziise !!" Unvergesslich. Der Befehl des Hauptmannes
war nicht zu umgehen. Es war schliesslich ernsthafte
Kriegszeit, und was so ungebeten ums Militär
herumstrich, erregte Misstrauen.
Also ohne militärische
Eskorte nahmen wir zwei den Abstieg unter die Füsse.
Wohin ? Weit unten war so etwas wie ein Gasthaus,
aber wie würden wir wohl noch so spät aufgenommen ?
Aber mutig trotteten wir weiter, und schon bald kamen
wir an einem verlotterten Heugaden vorbei. Unsere
Rettung ! Eine wackelige Treppe hinauf, und das Tor
war offen. Vom Militär war nichts mehr zu hören, die
hatten zu parieren, wie wir zwei. Heilige Ruhe -
vielleicht ein paar Kuhgocken aus der Umgebung, und
es wurde Nacht. Wir stiegen lachend „Stägeli uuf“ und
hofften auf ein gutes Heulager. Statt dessen war der
morsche Boden grad so richtig bödelet - nichts von
Heustock. Was blieb uns übrig ? Wir streckten unsere müden Beine auf unsere Pelerinen und versuchten mit
mehr oder weniger "Schiss" zu schlafen. Kalt war's zum
Glück nicht. Nach Dösen mit Unterbruch stiegen wir
schon früh am Morgen "Stägelí ab". Das Lachen war
uns nicht vergangen. Im Gegenteil. Wir fotografierten
noch unser 5 Sterne-Hotel und waren schon früh in
Muotathal und tranken Kaffee und Möcke bei Soldaten.
Brot war im Laden nicht erhältlich weil das Militär so
viel brauchte. Auch unsere Velöli konnten wir in gutem
Zustand wieder in Empfang nehmen. Keine Panne,
keinen Nagel gefangen auf der noch nicht geteerten
Talstrasse. Und dann nach dem Liedlein "S'gaht doch
im Läbe nid immer nur abe ....," Bei der Station der Stoosbahn beschlossen wir, mit dieser auf den Stoos
hinaufzufahren. Auf einmal geht's wieder dur's Stägelí
ufe, wie zur Mittagszeit. Was für eine herrliche Aussicht
zu den beiden Mythen gegenüber. Das liess uns den
gestrengen Hauptmann, von den Truppen „Till
Eulenspiegel“ genannt, vergessen. Wir suchten die
Jugendherberge, welche mir von der
Konfirmandenreise noch in bester Erinnerung war. Wir
konnten uns mit Suppe verpflegen und am Abend mit
Landjäger und Brot. Wir genossen die wunderschöne
Bergterasse, damals noch ohne Hotels, lagen an der Sonne und machten uns
schon früh ins "Hulli", nach
unserem ereignisreichen vergangenen Tag.
Glücklich stiegen wir ins erste Bähnchen ins Tal
hinunter, trampten nun der Muota entlang nach Schwyz
und Brunnen zur Axenstrasse, Sisikon und Flüelen.
Überall war auch immer Militär präsent.
Wir freuten
uns an dem Fremdland unserer schönen Heimat. Wie
konnte man nur an Krieg denken in diesen schönen
Sommertagen. So fanden wir auch die
Militärsanitätsanstalt und überraschten den Ernstli
Spiess mit unserer Krankenvisite. Die Freude war
gegenseitig. Ich weiss nicht mehr, woran er litt, jedoch
bekannt ist mir, dass im kalten Winter jene Station
begehrt war um sich vor Gotthardwachen zu drücken.
Soldatenleben, ei, das heisst lustig sein ...... Es wurde
keine lange Bleibe, denn als gut erzogene Kinder
wurden wir am dritten Tag zu Hause erwartet. Das
bedeutete noch einige Stunden trampen. Also retour
Axenstrasse — Brunnen — Schwyz. Oft studierten wir die mitgenommene
Landkarte. Sämtliche Strassenorientierungen waren abgeschraubt. Sollten uns die
lieben Deutschen überrennen, müssten sie den Weg auch
suchen und sich zwischen
Tankerfallen herum
schlängeln. Vor unseren Festungen hatten sie doch ein
wenig Respekt, versprachen aber umgehend, das
Schweizr Stachelschwein auf dem Heimweg zu
annektieren.
Sie sind bis heute nicht gekommen.
Schwyz lag hinter uns, und auf einmal ging's wieder "durch's Stägeli ufe wie nüüt",
dem Abend entgegen. Ein schwerer Brückenwagen mit zwei Rossen und
mit johlenden Soldaten überholten uns und machten halt. "Wohi gaht's ?" Rapperswil- Tösstal !
"Da könnt ihr
selbstverständlich mit uns fahren bis Rothenthurm, wir
sind ins Ibrig beordert!" Das nahmen wir natürlich mit
Freuden an. In Sattel kehrten sie sogar mit uns ein in
eine Wirtschaft an der Strasse. Wir tranken sogar ein
paar Schlückli Wein und assen einen kleinen Zvieri mit
ihnen. In bester Laune luden uns die Soldaten dann ein,
doch mit ihnen ins Ibrig zu kommen. Da könnten wir
pfuusen, es müsste ein lustiger Abend werden. Sie
versprachen uns das Blaue vom Himmel, aber als
standhafte Schweizer Meitli lehnten wir ab, obwohl uns
diese Art Zigeunerleben Spass machte, aber spassen bis
zum Ernstli war uns wiederum zu riskant.
"Tschau" hiess es in Rothenthurm und das
Rossfuhrwerk schwenkte auf dem Hägänstrick
Einsiedeln zu. Es konnte Regen im Anzug sein — wir
pressierten auf alle Fälle und sausten zum Zürichsee
hinunter. Wir wollten das Chellenland noch tags
erreichen. Städte, Dörfer, Strassen wurden ja
verdunkelt, nach zehn Uhr abends war Ausgehverbot,
also wir zwei jungen Tüpfi hatten wiederum nichts
mehr zu tun auf der angepassten Strasse. Es reichte
gerade noch bevor der Vater die Strassenlampe
ausdrehte. und ich glaube, er war richtig froh, die
Kleine wieder unter seinem Dach zu haben. Mutter und
Emma wunderten sich noch, wie wir auch während drei
Tagen den Weg fanden, überall ohne Wegweiser.
Ja, in
den vergangenen 90 Jahren galt es oft, den Weg zu
suchen, manchmal auch ein bisschen daneben, aber
doch bis hieher behütet und bewahrt. Das wär's nun. Wo
sind wohl all die Soldaten, von denen ich wohl einen
grossen Teil überlebte ? Meine Gschichtli von einst wurden gut verkauft, aber
das reichte meiner Jungmannschaft nicht. 
Immer
wieder stürmten sie, ich solle doch einmal einen Liebesroman schreiben.

 Diesen Wunsch erfülle ich nun
mit über 90 Jahren und verrate zum voraus: es wurde
ein Happy End, und rings um uns noch tausende
andere. Damit möchte ich aber vielmehr, Euch die
Generationen jener Frauen verständlich zu machen.
Auch sie hätten nämlich eine ,,Diamantfeier" verdient
wie die tapferen Soldaten mit tausenden von
Aktivdiensttagen.


Was sie für das Vaterland leisteten ist unbezahlbar, und man gab
sich noch Mühe, Versprochenes zu halten. Unser kirchliches Eheversprechen wurde dann auch grad dreimal
bestätigt. Als, wie üblich, der Zukünftige gefragt wurde,
hallte meinerseits ein lautes "JA" durch die Kirche,
begleitet von leisem Kichern. Das reichte dann auch fast
bis zu einer eisernen Hochzeit. Nicht, was heute das verflixte siebente Jahr
fertig bringt, nämlich eine
Scheidung mit oder ohne Kinder — das vollbrachte der
Tod mit fast 65 Jahren. Was mir als Bauernmädchen am
nächsten liegt ist der Kampf in der ,,Anbauschlacht".
Frauen opferten ihre Gesundheit, standen manchem
Betrieb vor, wenn der Chef an der Grenze stand; als
HD-Soldatinnen, Pilegerinnen und vieles mehr.
Daneben schenkten sie der Eidgenossenschaft noch viele gesunde Kinderlein, mit oder ohne Wegzeichen und
ohne Psychiater. Die wenigsten Mädchen konnten einen Beruf erlernen, und immer wieder galt es, Wege zu
suchen und sich auch führen zu lassen. Man half, wo es
nötig war. Wer ein bisschen Phantasie hat, bastle sich
selber einen Liebesroman. Der Soldat vom Pragelpass
und das Tösstaler Meitli heirateten auf alle Fälle nach
der Sommerarbeit im September 1943. Also mitten im
Krieg. Das konnte denn auch der pflichtbewusste Till
Eulenspiegel oder der bleiche Cheib nicht aufhalten.

Mädchen, Frauen und Soldaten fanden sich zu allen
Zeiten.
Webt das Bild, wie ihr es gerne habt, weiter.
Bleibt dabei recht froh und heiter.
Wetzikon, 9. November 2010 Hedy Meier
(geb. 1. August 1920) |